Willkommen zum dritten Teil unserer Artikelserie zur Skalierung von Logistiknetzwerken. In den letzten beiden Beiträgen haben wir uns einen Überblick über den zeitlichen („Wie finde ich heraus, wann ich neue Kapazitäten schaffen muss?“) und den räumlichen Aspekt („Wie stelle ich fest, wo neu zu schaffende Kapazitäten optimalerweise zu platzieren sind?“) verschafft. Die beiden Fragestellungen sind in schnell wachsenden Netzwerken vorrangig operationaler, also wiederkehrender Natur. Man sollte sich deshalb alle halbe Jahre seine Kapazitätskurven und Business-Cases ansehen. Es gibt aber noch viele Fragen strategischer Natur, die überhaupt erst einmal den notwendigen Rahmen schaffen für einen derart eingeschwungenen Prozess.
Die Netzwerkstrategie schafft einen Großteil der Grundregeln, ohne welche die Beantwortung der oben genannten Fragen schnell zu komplexen, multivariaten Problemstellungen geraten würde. Was man bei ihrer Entwicklung beachten muss, wird nun im Folgenden behandelt.
Die Entwicklung einer Netzwerkstrategie bildet in der Theorie eigentlich immer den Anfang. Noch bevor man sich über Zeitpunkte und Koordinaten Gedanken macht, sollte man sich im Klaren darüber werden, aus wie vielen Objekten und Verbindungen welcher Art und Größenordnung ein Netzwerk bei einer angenommenen Skala bestehen soll, um optimal zu funktionieren.
In der Praxis wird dies kaum durchgehalten, und das aus einer Reihe gut nachvollziehbarer Gründe. Einer davon ist die Unsicherheit, zum einen in der Planung, zum anderen in der geschäftlichen Ausrichtung. Zu dem Zeitpunkt, wo man sein Set-up ohne Wechselkosten noch frei umstellen kann, herrscht meist nicht genug Klarheit, weder über die eigenen Ansprüche bzw. die der eigenen Kunden noch über die eigenen Materialflüsse. Ein weiterer Grund ist der mäßige kurzfristige ROI (Return-on-Investment) einer solchen Anstrengung. Die Entwicklung einer Strategie bedeutet Aufwand und bedarf meist dazu noch externer Hilfe, zeigt aber oft erst nach Jahren positiven Effekte und die sind auch nicht immer ganz leicht messbar. Die Effekte skalieren mit dem Netzwerk und bringen nicht selten den entscheidenden Wettbewerbsvorteil. Der langfristige ROI ist somit sehr attraktiv, aber für auf einen langen Zeithorizont hin ausgelegte Unternehmungen hat man gerade in der Anfangsphase selten Ressourcen übrig.
Stattdessen nähern sich E-Commerce-Unternehmen oftmals iterativ einer als optimal empfundenen Lösung: Erst einmal kommt ein eigener Standort, der alles Notwendige kann. Wenn dieser ausgelastet ist – oder idealerweise: bevor er ausgelastet ist –, wird ein wahrscheinlich baugleicher, zweiter Standort so aufgesetzt, dass er gut ins aktuelle Set-up passt. Der vermeintliche Point of No Return schleicht sich langsam heran, denn irgendwann ist man als Unternehmen so eingefahren im iterativ entwickelten Set-up, dass die Kosten für den Wechsel in ein besser aufgestelltes Set-up einen Strategiewechsel unattraktiv erscheinen lassen. Wann der Point of No Return eintritt, ist freilich nicht vorhersagbar. Jedes mittel- und langfristig denkende Unternehmen täte allerdings gut daran, diese Wechselkosten zu investieren, selbst dann, wenn der Breakeven erst in zwei bis drei Jahrzehnten erreicht ist.
Wie kann man dieser Entwicklung entgehen? Zunächst einmal ist es ratsam, sich so früh wie möglich Gedanken über eine geeignete logistische Strategie zu machen. Wenn man das nicht möchte oder kann, lohnt es sich dennoch, beim Aufsetzen der Logistik strategisch flexibel zu bleiben, mit anderen Worten: seine theoretischen Wechselkosten in ein anderes logistisches Set-up möglichst gering zu halten. In diesem Fall sollte man periodisch prüfen, ob man sich in der Lage sieht, seine Strategie zu überdenken, dann aber auch ohne Zögern einen Wechsel einzuleiten. Hilfreich ist hier ein externer Sparringspartner, da er wertvolle Erfahrung und Marktkenntnis beitragen kann. Vor allem aber sorgt er dafür, dass der Blick auf die Realitäten nicht von der berühmt-berüchtigten Betriebsblindheit überlagert wird.
Spätestens, wenn diese Hürde genommen ist und man im Strategieworkshop sitzt, stellt sich die Frage, was eine Logistikstrategie eigentlich alles beinhaltet. Zunächst einmal gehört dazu natürlich die Netzwerkstrategie. Hinzu kommen vor allem technologische und prozessuale Aspekte, die sich unter dem Begriff „Prozessstrategie“ zusammenfassen lassen. Technologien und Prozesse entfalten schließlich für sich alleine keine Wirkkraft, sondern immer nur im Kontext des Logistiknetzwerks, in dem sie Anwendung finden. Die Logistikstrategie zeichnet somit ein Gesamtbild und stellt eine Harmonie zwischen der Netzwerk- und der Prozessebene her. Die Netzwerkstrategie, die für diesen Artikel unseren Fokus darstellt, betrachtet hingegen die einzelnen Standorte wie Blackboxes mit unterschiedlichen Funktionalitäten.
Trotz der Abstraktion von der Prozessebene gibt es unzählige Entscheidungen zu treffen. Netzwerkobjekte können die unterschiedlichsten Funktionalitäten in nahezu jeder denkbaren Intensität leisten und lassen sich beliebig kombinieren. Man kann klassische Warenhäuser mit Satellitenlägern kombinieren, mit Cross-Docks, mit Puffer- oder Zentrallagern, eigenen Retouren- oder auch Distributionszentren usw. Darüber hinaus lassen sich auf diese Objekte noch zahlreiche Steuerungsstrategien anwenden: Waren können redundant oder nach konkreter Zuordnung gelagert werden, man kann Märkte bestimmten Warenhäusern oder Gruppierungen zuordnen, das Sortiment könnte proaktiv in Richtung der Kunden bewegt werden etc. Wahrlich unbegrenzte Möglichkeiten!
Der Prozess, um zur optimalen Netzwerkstrategie zu gelangen, ist mindestens zweistufig. Der erste Schritt betrifft die Identifikation und Definition geeigneter Strategiekonzepte. Der Startpunkt für solche Überlegungen ist eine Art Anforderungskatalog. Implizit findet bereits an dieser Stelle eine qualitative Bewertung statt, denn Set-ups, die schon intuitiv keinen Sinn ergeben, werden konsequent gestrichen.
Im Anschluss daran können die identifizierten Varianten quantitativ bewertet werden. Es handelt sich um eine anspruchsvolle Aufgabe, die punktuell mit kleineren Unsicherheiten behaftet sein kann, aber in den allerseltensten Fällen um ein Mammut-Projekt.
Basierend auf der quantitativen Bewertung lässt sich die geeignetste Strategie bestimmen, die dann in einem dritten Schritt optional noch ein Feintuning erhält. Dieser Schritt mag manchmal etwas mehr Aufwand bedeuten und spezielle Modelle oder Softwarelösungen beinhalten, hat aber gleich mehrere Vorteile: Er sichert die Ergebnisse des zweiten Schritts ab, liefert wertvolle Erkenntnisse zu Sensitivitäten und Dimensionierung sowie einen belastbareren Benchmark für späteres Controlling.
Alles in allem ist die Entwicklung einer Strategie also eine der spannendsten Aufgaben, die einem in der E-Commerce-Logistik begegnen können. Gerne beantworten wir Fragen zum Artikel und gehen weiter ins Detail. Zum Beispiel via E-Mail oder auf LinkedIn und Xing.