Unser letzter Beitrag beschäftigte sich mit dem zeitlichen Aspekt von skalierenden Logistiknetzwerken. Die Ausgangsfrage war: Wie findet man heraus, wann man Logistikressourcen schaffen muss? Es handelt sich um die erste Herausforderung, die man als E-Commerce-Anbieter angehen sollte, da der richtige Zeitpunkt essenziell ist für erfolgreiches und nachhaltiges Wachstum.
Die zweite wichtige Herausforderung betrifft die räumliche Platzierung von Logistikressourcen. Im Regelfall folgt die Frage nach dem Ort nämlich unmittelbar nach der Beantwortung des zeitlichen Aspekts: „Wir brauchen also in zweieinhalb Jahren einen weiteren operativen Standort. Wo sollten wir den am besten aufziehen?“ Mit möglichen Lösungsansätzen für diese Frage befassen wir uns nun im zweiten Artikel unserer vierteiligen Serie.
Logistik befasst sich mit der Planung, Steuerung, Optimierung und Durchführung von Güter-, Informations- und Personenströmen. Im E-Commerce geht es im Regelfall um Güterströme. Auch für Personenströme ist der räumliche Aspekt zwar von Bedeutung, er kommt im Feld unserer Wahl aber nicht mehr so häufig zur Geltung. Was man leicht vergisst: Auch für Informationsströme haben räumliche Distanzen mal eine Rolle gespielt. Das ist heute natürlich nicht mehr der Fall.
Als E-Commerce-Logistikern geht es uns also meistens darum, Güter durch unser Netzwerk fließen zu lassen. Das Netzwerk besteht aus Knoten und Verbindungen zwischen diesen Knoten. Abstrakt betrachtet, werden Güter in den meisten Fällen an den Knotenpunkten gelagert und prozessiert und auf den Verbindungen lediglich bewegt. Da sich die Verbindungen – Routing-Entscheidungen lassen wir hier außen vor – aus den Knotenpunkten ergeben, beschränken sich räumliche Entscheidungen auf das Setzen von Knotenpunkten auf einer Landkarte.
Nicht alle Knotenpunkte sind variabel platzierbar. Endkunden lassen sich auch mit Discount-Codes nicht zum Umziehen bewegen. Die wenigsten E-Commerce-Unternehmen haben heute schon ihr eigenes Netzwerk zur Auslieferung und geben einen Teil der Supply-Chain-Operations an Partner ab. Dasselbe gilt manchmal auf der meist als sekundär betrachteten Zuliefererseite: Die Produktionsstätten befinden sich nicht in eigener Hand und ihre Knotenpunktkoordinaten sind daher vorgegeben.
Wenn man also auf der Inbound- als auch auf der Outbound-Seite Fixpunkte hat, beschränkt man sich auf die Optimierung des eigenen Netzwerkes. Dabei gibt es zwei Arten von Variablen: solche, die sich aus den entstehenden Verbindungen ergeben, und jene, die sich aus dem Knotenpunkt selbst ergeben.
Offensichtliche Verbindungsvariablen sind zunächst einmal Kosten und Zeit. Ein Linehaul-Transport von Erfurt nach Barcelona kostet daher sowohl Zeit als auch Geld. Die zwei Variablen sind natürlich auch für den Knotenpunkt selbst relevant, wobei der Kostenaspekt sicherlich leichter verständlich ist: Man wird eben im Zweifelsfall auf dem Land günstiger wirtschaften können als an einem exklusiven Standort im Ballungszentrum. Dabei spielen natürlich Lohnniveaus, Mieten, Steuern, Investments und damit verbundene Zinsen sowie andere Aspekte eine Rolle. Weitere Variablen der Knotenpunkte sind aber auch die Einzugsgebiete von Arbeitskräften und Kunden sowie sonstige infrastrukturellen oder baurechtlichen Gegebenheiten. Dazu kommt, dass die Verfügbarkeit von geeigneten Gebäuden oder Bauland in den begehrten Regionen stetig zurückgeht.
Somit erscheint die Fragestellung nach der Platzierung eines neuen Standortes schon bei einem einzigen Standort komplex. Es bedarf einer umfassenden Due Diligence und einer durchdachten Bewertungsmatrix, um eine letztlich fundierte Entscheidung treffen zu können.
Für einen Großteil der oben genannten Knotenpunkt-Variablen reicht Recherche bzw. der Einkauf von Informationen. Die Aspekte Kosten und Zeit sind hingegen hochindividuell und müssen im Regelfall explizit modelliert werden. Derartige Modelle gibt es in unterschiedlichsten Komplexitätsstufen. Wir unterscheiden zwischen Modellen zur Visualisierung und Modellen zur Optimierung.
Visualisierungsmodelle beschränken sich darauf, die Ergebnisse eines überschaubaren Lösungsraumes zu berechnen. Die Ergebnisse gehen dann in die oben genannte Bewertungsmatrix mit ein und unterstützen so den Entscheidungsprozess. Sie eignen sich insbesondere für eine initiale Orientierung, Entscheidungen unter Zeitdruck oder bei begrenzten Alternativen. Visualisierungsmodelle verursachen verhältnismäßig niedrigen Aufwand.
Optimierungsmodelle hingegen suchen aus einem sehr großen Lösungsraum die besten Optionen heraus. Sie stützen sich meist auf mathematische Konzepte und Programmiersprachen bzw. spezielle Software-Lösungen. Sinnvoll ist das insbesondere bei großen Netzwerken mit signifikantem Wachstum, beim Setzen mehrerer Standorte oder bei langfristigen strategischen Überlegungen.
Beide Modelltypen funktionieren über gewichtete Verbindungen und Kostensätze und suchen unter Berücksichtigung von Bedingungen die niedrigste Summe (aller Kosten oder aller Zeiten). Dieses Konzept bezeichnet man auch als Center-of Gravity-Analyse.
Hierbei zu beachten ist, dass selbst eine korrekte durchgeführte Standortanalyse für den nächsten Standort auf lange Sicht kein optimales Ergebnis geliefert, da sich das Netzwerk weiterentwickelt. Fünf Standorte, die iterativ bestimmt wurden, werden nicht dasselbe Ergebnis liefern können wie fünf simultan bestimmte Standorte. Dieses Problem lässt sich natürlich nicht vollends in den Griff kriegen, wohl aber durch Erweiterung des Zeithorizonts eindämmen.
Diese Kurzübersicht zur Problematik kann selbstverständlich nur an der Oberfläche kratzen. Zahlreiche interessante Fragestellungen verbergen sich hinter diesen Ansätzen, etwa, wie man ein gutes Proxy-Modell („einen Schätzer“) für die vom Kunden wahrgenommene Lieferzeit ermittelt oder wie man Kosten und Zeiten gegeneinander rechnet. Gerne tauschen wir uns dazu bei Bedarf mit dir aus. Zum Beispiel via E-Mail oder auf LinkedIn und Xing.